Frau Holles heilender Holunder
Zur Weihnachtszeit ging Frau Holle über Land. Sie lauschte auf die Stimmen der Menschen, der Tiere und Pflanzen. Wenn sie eine Klage vernahm, half sie, wo sie nur konnte. So begegnete sie auch einem Strauch, der mit zitternden kahlen Ästen im weiten Winterfeld stand und klagte. „Was jammerst du, Strauch?“, fragte die himmlische Frau und hielt in ihrem Schritt inne. „Ach, ich muss hier einsam stehen“, seufzte er, „niemand achtet Mein, weil mein Holz zu nichts nütze ist. Selbst der Besenbinder, der die Ruten der Birke in seine Hütte holt, geht an mir vorüber. Gib meinem Holz doch nur eine Festigkeit, so wird der Mensch auch nach mir greifen!“
Voll tiefen Mitleids streichelte die gütige Frau die starren Triebe des Strauches. „Du bist auf deine Weise doch auch schön“, sagte sie, „aber weil es dein Wunsch ist, zu den Menschen zu kommen, will ich ihn erfüllen. Zwar kann ich deine Gestalt nicht ändern, doch will ich dir eine Kraft geben, die dich vor allen anderen Hölzern begehrenswert macht.“ Dann nahm sie Abschied und ging.
Als nun die warmen Tage des Frühlings kamen, da überdeckte sich der Strauch über und über mit Blüten, die wie Teller gegen die Sonne standen und deren so viele waren, dass kein Mensch sie zählen konnte. Als der Herbst einzog, da wurden lauter glänzende schwarze Beeren daraus, mit einem Saft, so rot wie roter Wein.
Die Menschen sahen das, brachen die Blüten und kochten Tee daraus; der half gegen Fieber und Kälte des Blutes und die Beeren gaben eine köstliche Speise. Schließlich holten sie den Strauch an ihre Hütten und Häuser, bis es keinen Garten mehr gab, in dem er nicht stand, und keinen Zaun, über den im frühen Sommer nicht seine Blütenfülle brach. Die Kinder spielten in seinem Schatten, die Kranken genasen durch ihn und selbst den Toten wurde ein Zweiglein mit in den Sarg gegeben.
Die Leute nannten ihn „Holles Baum“ oder „Hollerbusch“. Niemand durfte ihn sinnlos abhauen. Seine Heilkraft hat er bis heute bewahrt.
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