Kirchgemeinde Lehesten und der Landkreis erinnern an 35 Jahre Grenzöffnung
Kirchgemeinde Lehesten und der Landkreis erinnern an 35 Jahre Grenzöffnung
Mit Stefan Große und Uta Böhm sind auch die Kinder der Handelnden von damals wieder am Ort des Geschehens
Saalfeld/Lehesten. Mit einer ökumenischen Andacht wurde am Gedenkort des ehemaligen Grenzzauns bei Lehesten am 9. November nachmittags der Grenzöffnung und des Mauerfalls vor 35 Jahren gedacht.
Damals im Jahr 1989 wurden noch in der Nacht in Berlin die Grenzübergänge geöffnet. Die seit den 1950er Jahren geschlossenen Übergänge zwischen der damaligen DDR und der Bundesrepublik konnten erst in den Tagen und Wochen danach wieder passierbar gemacht und geöffnet werden. So wurde drei Tage später als erster Übergang der Region am 12. November 1989 der Übergang auf der B 85 am Falkenstein zwischen Probstzella und Ludwigsstadt eröffnet. In Lehesten dauerte es bis zum 16. Dezember, als der Grenzzaun zwischen dem damaligen Kreis Lobenstein und dem benachbarten Franken fiel.
Hunderte Menschen aus der Region – teilweise auch von weit entfernten Orten – waren am Samstag der Einladung der Kirchgemeinde Lehesten gefolgt und erinnerten bei strahlendem Sonnenschein an die freudigen Ereignisse von damals. Zugleich blickten die Rednerinnen und Redner kritisch auf die bedenkliche Entwicklung, die in den vergangenen Jahren im Denken vieler Menschen im Osten und Westen eingesetzt hat.
Die gelungene musikalische Gestaltung übernahm der Posaunenchor aus Saalfeld-Graba, eröffnet wurde die Andacht durch den ehemaligen Lehestener Pfarrer i.R. Peter Hoffmann. In kurzen und prägnanten Gedenkbeiträgen lieferten der Superintendent des Kirchenkreises Rudolstadt-Saalfeld, Michael Wegner und Probstzellas Pfarrer Bodo Gindler Beiträge aus Thüringischer Sicht. Bei den Zusammenkünften im Seniorenkreis in Probstzella sprudelten die Erinnerungen an die vielen persönlichen Geschichten, berichtete Gindler.
Den Blick aus Franken und sogar weiter entfernt, aus der Oberpfalz, ermöglichten der katholische Seelsorger aus Tettau, der im Sattelgrund ausgewachsene Hans Kaufmann, und die neue Ludwigsstädter Pfarrerin Kim Kießling, die selbst eine spannende deutsch-deutsche Familiengeschichte nacherzählte. Ihr persönliches Anliegen war es, die Geschichte auch den jungen Menschen und Kindern von heute nahe zu bringen, die damals noch nicht geboren waren.
Seine persönliche Geschichte von „Hüben“ und „Drüben“, die Hans Kaufmann in bewegenden und humorvollen Worten erzählte, nahmen die Kinder der Akteure von damals auf: Uta Böhm, die Tochter des damaligen Ludwigsstädter Dekans Friedrich Wiedemann und Oberkirchenrat Stefan Große, Sohn des damaligen Saalfelder Superintendenten Ludwig Große. Sie erinnerten an die Kontakte vor der Grenzöffnung, die es zwischen Ludwigsstadt und der Kirchgemeinde Lichtentanne mit Pfarrer Schoeps gegeben hatte. Damals entstanden freundschaftliche Verbindungen zwischen den Familien Große, Schoeps und Wiedemann. Treffen der Jugendgruppen der Kirchgemeinden mussten damals wegen der Unzugänglichkeit des Sperrgebietes in Saalfeld stattfinden – man traf sich dann auch im Gemeindehaus am Hohen Ufer und in Graba.
Die grenzübergreifende Freundschaft zwischen Thüringern und Franken zeigten – zusammen mit den ehemaligen und heutigen Bürgermeistern – besonders der Saalfeld-Rudolstädter Landrat Marko Wolfram und sein Kronacher Amtskollege Klaus Löffler, die beide nahe der Grenze zu Hause sind – in Probstzella und in Steinbach am Wald. Zu den Gästen gehörte auch der ehemalige Lobensteiner Landrat Norbert Hetterle, der sich beeindruckt zeigte von den nach vorne gerichteten Beiträgen.
Der Abschluss der Andacht wurde bunt: Wer wollte, konnte einen Luftballon mit Adresskarte steigen lassen, die zurück an die Lehestener Grundschule geschickt werden kann.
Nach dem Gedenken am Grenzzaun wurde anschließend im Kulturhaus in Lehesten gefeiert – dort wurde auch eine Erinnerungsbroschüre angeboten. Landrat Marko Wolfram würdigt darin das Lehestener Engagement: „Mit dem Projekt „Steine helfen Erinnern“ ist es der Karl-Oertel-Grundschule vor fünf Jahren gelungen, eine Gedenkstätte an diesem Originalstandort der innerdeutschen Grenze entstehen zu lassen. Wo einst der Todesstreifen das Land durchzog, verbindet heute das Grüne Band als Lebenslinie Mensch und Natur auf beiden Seiten, ebenso wie die vielfältigen Verkehrsverbindungen zwischen Franken und Thüringen. Wie es an der ehemaligen Grenze ausgesehen hat, ist kaum mehr vorstellbar. Deshalb ist dieser Ort für unsere Erinnerung besonders wertvoll, zeigt er doch, was es sonst nur in Filmen, Bildern und Erinnerungen gibt.“
Lehestens Bürgermeisterin Nicole Vockeroth gab in ihrem Grußwort eine Aussicht über die Entwicklung in der Region: „Wir müssen unsere Geschichte kennen, um nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.“ Scharf kritisierte sie Beiträge in den sozialen Medien, die die diesjährige Veranstaltung als DDR-Nostalgie abwerteten: „Wir sind hier, um an die Ereignisse von damals zu erinnern!“ Dass es nicht um Romantisierung und Verklärung geht, sondern um die Schicksale eines kleinen Ortes und seiner Menschen, schreibt auch Martin Falkenstein von der Arbeitsgruppe Dokumentation. Tatsächlich hatte die Arbeitsgruppe Dokumentation in einer umfassenden Ausstellung aus ihrem Bestand mit Gegenständen aus der DDR-Zeit aufgebaut. Eine umfassende Fotoausstellung hatte – wie schon zur 950-Jahr Feier – wieder Wencke Dehm vorbereitet.
Außerdem lief in Dauerschleife eine Filmzusammenstellung über die Jubiläumsveranstaltungen der letzten Jahre in Lehesten, die Ralf Hager der Chronist der Stadt Lehesten zusammengestellt hatte.
Das Kulturhaus in Lehesten machte seinem Namen an diesem Nachmittag wieder alle Ehre. Einen Höhepunkt im musikalischen Programm boten Cornelia Seifert, die Cheforganisatorin der Veranstaltung, und der Kirchenchor Lehesten mit dem Lied der Toten Hosen „An Tagen wie diesen“ und mit speziellen Zeilen für die Lehstener Region erzeugten sie Gänsehautmomente. Dazu trug auch das gemeinsam im Saal gesungene Rennsteiglied bei – das zwei zusätzliche Lehesten-Zeile bekam - „Die Grenze ist gefallen, die Freiheit ist zurück“, heißt es dort in der letzten Zeile.
Die nachbarschaftliche Verbindung dokumentierten auch die beiden Blaskapellen auf der Bühne, die abwechselnd spielten – der Musikverein „Glück auf“ Lehesten und - erstmals hier in Lehesten vor Ort! – die Blaskapelle Ebersdorf bei Ludwigsstadt.
Die Gedenkveranstaltung förderte der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt als Mikroprojekt über das Landesprogramm Solidarisches Zusammenleben der Generationen (LSZ). „Auf diese Weise soll die Geschichte der Grenzöffnung und das Leben in der DDR-Zeit an die nachfolgenden Generationen herangetragen werden, gemeinsam in einen historischen Austausch gegangen werden und das Zusammenleben der Generationen positiv beeinflusst werden. Das Projektziel der Feier zur 35-jährigen Grenzöffnung ist die Schaffung von Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten der verschiedenen Generationen mit Blick auf den historischen Hintergrund des Ortes Lehesten. Die Gestaltung der Aktivität erfolgt durch die Schülerinnen und Schüler der Grundschule, die Mitglieder der Vereine sowie der Kirchgemeinde in Lehesten. Durch die gemeinsame Vorbereitung und Durchführung des Nachmittages können Jung und Alt voneinander lernen, in die Geschichte des Ortes eintauchen sowie über Neues und Vergangenes in den Dialog treten“, so Nicola Stolarikova, die im Landratsamt für das Programm zuständig ist.
Über die Veranstaltung in Lehesten berichtet auch das MDR im ThüringenJournal:
Die gesamte Andacht hat auch der Infokanal Ludwigsstadt aufgezeichnet – der Film ist dort im Kabelnetz zu sehen.